Die Inzidenz der Nierenerkrankung im Endstadium (ESRD) nimmt weltweit zu. Im Vergleich zur Dialyse führt die Nierentransplantation (RT) bei den meisten Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz zu einem Überlebensvorteil und einer Verbesserung der Lebensqualität.1 Darüber hinaus ist die RT aus gesellschaftlicher Sicht die kosteneffektivste Form der Nierenersatztherapie (RRT)2,3 für geeignete Patienten. In den letzten Jahrzehnten hat die RT das Leben von Hunderttausenden von Patienten weltweit verlängert und verbessert. Doch obwohl die Prävalenz der terminalen Niereninsuffizienz in den meisten Ländern zunimmt, haben die Transplantationsraten nicht Schritt gehalten. Im Jahr 2016 warteten in Portugal fast 2000 Patienten auf eine RT, während nur 500 Nierentransplantationen durchgeführt wurden, was die deutliche Diskrepanz zwischen der Zahl der Transplantationen und der Zahl der Patienten, die auf eine Transplantation warten, verdeutlicht. Die wachsende Kluft zwischen der Zahl der verstorbenen Spender und dem Bedarf an Nierentransplantationen hat das Interesse an der Förderung der Lebendnierenspende (LKD) verstärkt. Lebendspendertransplantationen verringern nicht nur die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nach Nieren, sondern sind auch mit besseren Ergebnissen verbunden4,5 und ermöglichen eine präemptive Transplantation (d. h. eine Transplantation vor Beginn der Dialyse), die mit einer besseren Überlebensrate verbunden ist.6,7 In Anbetracht des wachsenden öffentlichen Bewusstseins für die Krise des Organmangels und der bekannten Vorteile der Lebendspende hat die Zahl der Lebendspenden in den letzten zehn Jahren zugenommen.8 Derzeit beruht die Lebendspende in unserem Land auf der altruistischen Initiative des Spenders, ohne die Möglichkeit einer Entschädigung oder eines Anreizes außer der Erstattung der mit der Spende verbundenen Kosten. In Anbetracht der Vorteile der Lebendspende wurden zahlreiche Strategien zur Steigerung der Lebendspende vorgeschlagen, darunter auch die Förderung finanzieller Anreize für Lebendspender.9-12 In den letzten Jahren wurden weltweit Umfragen durchgeführt, um die öffentliche Meinung13,14 und die Ansichten und Einstellungen der Nephrologen zu Belohnungen und Entschädigungen für Nierenspenden zu ermitteln.15,16 Ein allgemeiner Konsens wurde nicht erreicht, da die öffentliche Meinung und die Meinung der Fachleute durch soziale, demografische, ethnische, soziologische und kulturelle Vorurteile beeinflusst werden.
Spenderauswahl und ethische Probleme im Zusammenhang mit finanziellen Anreizen für Lebendnierenspenden
Die Kriterien für die Spenderauswahl sind von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) klar definiert: „Lebendspenden sind akzeptabel, wenn die informierte und freiwillige Zustimmung des Spenders eingeholt wird, wenn eine professionelle Betreuung der Spender gewährleistet und die Nachsorge gut organisiert ist und wenn die Auswahlkriterien für Spender gewissenhaft angewendet und überwacht werden.17
Umgekehrt sind finanzielle Anreize für LKD in der Erklärung von Istanbul und in den meisten Ländern18 gesetzlich verboten, obwohl die Frage der Bezahlung ausgiebig erörtert wurde. Einige Behörden sind der Ansicht, dass jede Zahlung zu einer Kommerzialisierung führen und die Transplantationsbemühungen untergraben könnte, während andere davon ausgehen, dass die Gewährung von Anreizen zu einer Zunahme der Organspenden führen wird. Der mögliche Einsatz finanzieller Ausgleichszahlungen zur Erhöhung der LKD-Raten bleibt also umstritten. Die Befürworter von Zahlungen sind der Ansicht, dass bezahlte Organspenden die Zahl der Todesfälle auf der Warteliste verringern würden und dass eine Vergütung im Hinblick auf den Spender ethisch vertretbar sein könnte19,20; die Gegner von Zahlungen befürchten, dass potenzielle Spender gezwungen, unzulässig beeinflusst und zu Waren gemacht würden.21 Eine Schlüsselfrage ist, ob Organspender glauben, dass ihre Motivation, altruistisch zu handeln, gefährdet wird, wenn finanzielle Belohnungen oder Zahlungen als Anreiz für die Organspende angeboten werden, und ob sie ein wirtschaftliches Recht darauf haben, für die durch die Spende entstehenden Kosten entschädigt zu werden.
Aus ethischer Sicht werden vier Kategorien von ethischen Bedenken im Zusammenhang mit finanziellen Belohnungen und Entschädigungen für die Organspende herausgestellt22,23: unzulässige Anreize, ungerechte Anreize, Verdrängung der intrinsischen Motivation zur Spende und Kommodifizierung des Körpers. Die ethische Grundlage der Lebendspende ist die Nichtschädigung des Spenders und die Achtung der Spenderautonomie. Die Nichtschädigung setzt voraus, dass der Spender bei bester Gesundheit ist; die Achtung der Autonomie erfordert eine informierte Zustimmung des Spenders. Die größte Sorge im Zusammenhang mit „unzulässigen Anreizen“ besteht darin, dass die Bezahlung einer Lebendnierenspende die Einwilligung nach Aufklärung untergräbt, indem sie Menschen dazu zwingt, Risiken zu akzeptieren, die sie andernfalls nicht eingehen würden, und sie so zur Spende zwingt und ihre Autonomie untergräbt. Anreize sind nicht per se unethisch, sondern werden es erst dann, wenn ihr Ausmaß so unwiderstehlich ist, dass sie das Urteilsvermögen der Menschen verzerren und potenzielle Spender zu Aktivitäten ermutigen, die ihren Interessen zuwiderlaufen.
Die Besorgnis über „ungerechte Anreize“ bezieht sich auf die Nötigung armer und/oder schutzbedürftiger Personen zur Spende, da befürchtet wird, dass eine finanzielle Entschädigung für die Spende verarmte Personen ausnutzen würde, von denen angenommen wird, dass sie eher bereit sind, für eine Entschädigung zu spenden. Die „Verdrängungskritik“ bezieht sich auf die Tatsache, dass eine Entschädigung die Zahl der Organspenden verringern und altruistische Spender abschrecken könnte, die nicht mehr spenden würden, wenn es eine finanzielle Entschädigung gibt.24-26
Die Kritik an der „Kommerzialisierung des Körpers“ bezieht sich schließlich auf die Beeinträchtigung der persönlichen Würde, da der menschliche Körper einen unschätzbaren Wert besitzt und die Erlaubnis, einen Teil des Körpers zu verkaufen, die Würde der betreffenden Person herabsetzt.
Arten der Entschädigung für LKD
Die Entschädigung für LKD ist in der Literatur oft nicht genau definiert. Begriffe wie „belohnte Schenkung“, „belohnte Entschädigung“, „verdiente Entschädigung“, „Gratifikationsgeschenke“ oder „direkte Bezahlung für Nieren“ sind unklar. In der Regel bezieht sich der Begriff „belohnte Entschädigung“ auf finanzielle Anreize zur Spende, die mit einem gewissen Gewinn verbunden sind.
Eine Art der Entschädigung von Spendern ist die Erstattung aller Kosten, wie z. B. Reisekosten und Nachsorge und/oder Lohnausfall. Die WHO-Leitprinzipien gestatten die Erstattung von „angemessenen und nachweisbaren Ausgaben des Spenders, einschließlich Einkommensverlusten“.17 Auch in der Europäischen Konvention über Menschenrechte und Biomedizin heißt es, dass das Verbot finanzieller Gewinne „Zahlungen, die keinen finanziellen Gewinn oder vergleichbaren Vorteil darstellen, nicht entgegensteht“.27 Obwohl solche Zahlungen legal sind, sind sich viele Spender ihrer Vorteile nicht bewusst und verlangen sie nicht.
Eine andere Art der Entschädigung, die umstritten ist, ist die Gewährung direkter oder indirekter finanzieller Anreize, die über die Ausgaben hinausgehen. Indirekte Anreize können in Form von „Sachleistungen“ wie Kranken- oder Lebensversicherungen, Beiträgen zur Altersvorsorge des Spenders oder Einkommenssteuergutschriften erfolgen, so dass Menschen, die dringend Geld benötigen, nicht in Versuchung geraten, eine Niere zu verkaufen.
Anreize könnten auch für alle lebenden Spender oder nur für eine Teilmenge gelten, z. B. für Spender, die für ein weltweites Wartelistenprogramm spenden. Hybride Systeme, bei denen die altruistische Spende mit einem geregelten Vergütungssystem kombiniert wird, oder direkte Zahlungen an alle Lebendspender könnten die Verdrängung fördern und echte Altruisten abschrecken. Trotz dieser Bedenken unterscheiden der Weltärztebund und der Europarat28 zwischen der Kommerzialisierung von menschlichem Gewebe und Organen und der Entschädigung für Lebendspenden. Darüber hinaus definiert der Nuffield Council on Bioethics29 nicht-altruistisch ausgerichtete finanzielle Anreize zur Belohnung von Lebendspendern und ihren Familien von altruistisch ausgerichteten Entschädigungen, die eine Entschädigung für Unannehmlichkeiten, Unannehmlichkeiten und Zeit sowie die Erstattung direkter Kosten, wie z. B. medizinische Kosten und Verdienstausfall, umfassen.
Verändert eine finanzielle Entschädigung für eine Lebendnierenspende die Bereitschaft zur Spende?
Bedenken, dass eine Entschädigung für eine Lebendnierenspende zu einem unangemessenen Anreiz und anderen ethischen Dilemmata führen würde, sind zwar plausibel, doch liegen keine evidenzbasierten Daten aus klinischen Studien zur Spenderentschädigung vor, da solche Studien ethisch nicht vertretbar sind. Die meisten Peer-Review-Berichte zu diesem Thema beruhen auf Meinungen und direkten Befragungen von Gemeindemitgliedern. Venkataramani et al.30 untersuchten die Auswirkungen von Steuerabzügen für Ausgaben im Zusammenhang mit der Spende in bestimmten US-Bundesstaaten und fanden keine Anhaltspunkte dafür, dass sich steuerliche Anreize unverhältnismäßig stark auf die Spendenbereitschaft einkommensschwacher Gruppen auswirken. Auch Steuerabzüge führten nicht zu einer Erhöhung der LKD-Raten. Gordon et al.31 untersuchten die Höhe des finanziellen Ausgleichs, der die Motivation zum Spenden an Verwandte/Freunde oder Fremde erhöhen würde. Sie kamen zu dem Schluss, dass sich die Spendenbereitschaft bei 70 % der Befragten nicht ändern würde, und stellten fest, dass finanzielle Entschädigungen nur geringe praktische Auswirkungen auf LKD haben. Die Mehrheit der befragten Öffentlichkeit hielt eine finanzielle Entschädigung für Lebendspender für akzeptabel, aber weniger Befragte hielten eine finanzielle Entschädigung für sich selbst für akzeptabel, um zu spenden. Mit anderen Worten: Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine finanzielle Entschädigung die Entscheidung des Einzelnen, zu spenden, kaum beeinflussen würde und dass Maßnahmen zur Förderung einer finanziellen Entschädigung relativ wenig Einfluss auf die Erhöhung der Lebendspenderate haben würden. Dennoch ist zu bedenken, dass die Antworten auf die Umfrageszenarien möglicherweise nicht widerspiegeln, wie sich die Menschen tatsächlich verhalten würden, wenn sie mit der Möglichkeit konfrontiert würden, für eine Lebendspende bezahlt zu werden.
Strategien zur Steigerung der Nierenspende
Die Kostenerstattung ist ethisch akzeptabel und wird in einigen Ländern durchgeführt, da sie nicht als finanzieller Vorteil angesehen wird. Sie scheint jedoch nicht zu einem nennenswerten Anstieg der Nierenspenden zu führen. Daher müssen trotz möglicher zusätzlicher Kosten andere potenzielle Strategien zur Erhöhung der KT geprüft werden.
Zahlreiche Ansätze könnten zu einer Vergrößerung des Spenderpools führen: u. a. die Einführung von Registern für verstorbene Spender, nationale und lokale Sensibilisierungskampagnen, Aufklärungsmaßnahmen und Paartauschprogramme. Darüber hinaus könnte die Aufhebung der Beschränkungen für anonyme Spenden ein Weg sein, um alternative Lebendspendeprogramme zu ermöglichen. Solche Programme sollten im Rahmen internationaler Standards durchgeführt werden, um die Qualität und Sicherheit von Spendern und Empfängern zu gewährleisten.
Schlussfolgerung
Die Transplantationsraten sind in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen, und die Warteliste für verstorbene Spender wächst weiter. Derzeit gibt es in Portugal keine Anreize für Lebendspender, obwohl die Erstattung der dem Spender entstandenen Kosten zulässig ist. Abgesehen von altruistischen Motiven der Familie oder enger Freunde ist es wichtig, über die ethischen Konturen der sozialen Welt nachzudenken, in der Organtransplantationen stattfinden, und es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um die ethischen Grundprinzipien der LKD zu gewährleisten.
Es gibt derzeit wenig Belege dafür, dass eine finanzielle Entschädigung für LKD die Spendenbereitschaft verändert, so dass die oben genannten Strategien zur Steigerung der Nierenspende in Betracht gezogen werden sollten.
Interessenkonflikte
Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.