Bewertung von Epiphora: Kein Grund zum Weinen

Epiphora oder Tränenfluss ist ein häufiges Symptom vieler Augenerkrankungen, die vom Augenlid, dem vorderen Augenabschnitt oder dem Tränenapparat ausgehen können. Die meisten dieser Erkrankungen bedrohen das Sehvermögen nicht, aber für die Patienten ist das Tränen ein ernsthaftes Problem, das zu verschwommenem Sehen, Augenbeschwerden, Hautreizungen und sozialem Unbehagen führt. Da die Ursache der Epiphora multifaktoriell ist, ist es wichtig, bei der Anamnese und der körperlichen Untersuchung nach Hinweisen zu suchen, die auf die Ursache des Problems hinweisen. Ein schrittweises Vorgehen bei der Behandlung kann dann zu „Freudentränen“ führen.
Schlüssel zur Anamnese
Die Anamnese ist sehr wichtig, da sie oft schon ausreicht, um die richtige Diagnose zu stellen. Wie bei jedem Krankheitsprozess kann das Wissen über das „Wer, Was, Wo“ des Problems helfen, die Ursache zu finden. Bei Tränenfluss ist die einfachste Frage die nach der Stärke des Tränenflusses. Wenn man feststellt, wie oft der Patient sich die Augen abtupfen oder das Gesicht abwischen muss, kann man die Ursache und den Schweregrad bestimmen. Bei sehr leichtem Tränenfluss ist es unwahrscheinlich, dass es sich um eine vollständige Obstruktion des Tränennasengangs (NLDO) handelt, bei ständigem Tränenfluss im Gesicht hingegen wahrscheinlich schon. Auch die Feststellung, wann sich das Tränen verschlimmert, kann aufschlussreich sein. Patienten mit Tränenfluss aufgrund von Problemen im vorderen Augenabschnitt wie trockenem Auge oder Blepharitis bemerken oft, dass sich der Tränenfluss am Ende des Tages oder bei sehintensiven Tätigkeiten wie Lesen oder Computerarbeit verschlimmert; Patienten mit einer NLDO bemerken, dass der Tränenfluss im Freien bei Kälte oder Wind schlimmer ist. Begleitsymptome wie stechende Schmerzen, gefolgt von Tränen, sind klassisch für das durch trockene Augen ausgelöste Tränen. Schwellungen und Schmerzen des Augenlids oder des medialen Canthus deuten auf eine NLDO oder eine Dakryozystitis hin. Schließlich sollte jede Anamnese einer Nasennebenhöhlenerkrankung oder eines Gesichtstraumas eruiert werden. Das Vorhandensein chronischer Nasennebenhöhleninfektionen oder früherer Traumata, einschließlich kosmetischer Nasenkorrekturen, kann mit einer Obstruktion des Tränennasengangs in Verbindung gebracht werden. Fazit: Eine gute Anamnese wird Ihnen helfen, die Untersuchung zu fokussieren.
Eine geführte Untersuchung
Die Untersuchung eines Patienten mit Tränenfluss sollte ähnlich ablaufen wie die jedes anderen Augenpatienten, mit speziellen Schwerpunkten und Zwischenstopps. Sie sollte sich an der Anamnese orientieren und auch die möglichen Ursachen des Tränenflusses berücksichtigen. Ich beginne immer damit, den Patienten abseits der Spaltlampe zu betrachten. Dies kann während des Gesprächs erfolgen und ist sehr hilfreich bei der Beurteilung nicht kooperativer Patienten vor der praktischen Untersuchung. Ich beobachte gerne zuerst den Zustand der Haut und der Augenlider. Bei einem Patienten mit chronischem Tränenfluss ist die Haut um das betroffene Auge herum oft gerötet und schuppig; dies gilt insbesondere für den mittleren und seitlichen Augenwinkel, wo der Patient häufig das Auge reibt oder abtupft. Achten Sie auch auf Fehlstellungen der Augenlider; ein Entropium oder Ektropium ist auch ohne Lidmanipulation leicht zu erkennen. Achten Sie auch auf die Stärke und Häufigkeit des Blinzelns des Patienten. Bei Patienten mit gleichzeitiger oder teilweise behobener Bell’scher Lähmung sind Blinzelstärke und Blinzelrate vermindert, und es kann sogar zu Lagophthalmus kommen. Bei Patienten mit erhöhter Blinzelrate denken Sie an eine Augenreizung oder einen Blepharospasmus, der Tränenfluss verursacht. Schauen Sie sich dann die Augen an; es ist oft leicht zu erkennen, ob das Auge glänzt und feucht ist; wenn dies mit der Seite korreliert, die Symptome aufweist, ist ein obstruktiver Prozess wahrscheinlicher. Wenn das trockenere Auge das symptomatische Auge ist, kann das trockene Auge das zugrundeliegende Problem sein.
Der nächste Schritt ist die körperliche Untersuchung, aber immer noch ohne die Spaltlampe. Eine Muskellampe ist eine perfekte Lichtquelle. Die unteren Augenlider sollten mit dem Schnelltest auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Laxheit untersucht werden. Dabei wird das Auge vom Augapfel abgelenkt, um zu sehen, ob es wieder zum Augapfel zurückkehrt oder einen Blinzler benötigt, um seine Position wiederherzustellen. Auch das Augenlid sollte genau auf seine natürliche Lidstellung untersucht werden: Liegt der laterale Canthus über, in einer Linie mit oder unter dem medialen Canthus? Eine Abwärtsverschiebung des Canthus deutet ebenfalls auf eine Laxheit des Augenlids hin, die die Epiphora verursachen kann. Die medialen Pünktchen sollten ebenfalls überprüft werden, um festzustellen, ob sie in Kontakt mit dem Augapfel stehen. Das Augenlid sollte dann seitlich und nach oben abgelenkt werden, um zu sehen, ob dadurch die natürliche Lidstellung, insbesondere die Puncta des Augenlids, wiederhergestellt wird. Der mediale Canthus sollte auf eine eventuelle Fülle untersucht werden, insbesondere dort, wo der Tränensack liegt. Die Tränensackregion sollte massiert werden, und wenn sich Flüssigkeit oder mukopurulenter Ausfluss ergibt, dann liegt eine Obstruktion des Tränennasengangs vor.
Die Untersuchung kann dann mit Hilfe der Spaltlampe unterstützt werden. Der Tränensee, der Spiegel der Tränen am Übergang zwischen Unterlid und Augapfel, sollte beurteilt werden. Ein verringerter Tränensee deutet auf trockene Augen hin, während ein erhöhter Tränensee wahrscheinlich auf ein Abflussproblem zurückzuführen ist. Der Lidrand sollte auf das Vorhandensein einer Meibomschen Drüsenfehlfunktion oder Blepharitis untersucht werden. Die Beurteilung der Lidfehlstellung kann auch unter Spaltlampenführung zur besseren Vergrößerung durchgeführt werden. Platzierung und Größe der Pünktchen sollten ebenfalls sorgfältig geprüft werden, um festzustellen, ob die Pünktchen in Ruhestellung durch den Karunkel oder die Semilunarfalte verdeckt werden. Die Qualität und der Gesundheitszustand der Bindehaut und der Hornhaut sollten bestimmt werden.

Einordnen
Nach Abschluss der Erstuntersuchung sollte der Untersucher eine gute Vorstellung davon haben, ob es sich bei dem Tränenfluss um ein Problem des vorderen Segments, ein Problem der Lidstellung oder ein Problem des Tränenabflusses handelt.
Auf der Grundlage dieser Beurteilung können sekundäre Tests durchgeführt werden. Bei Patienten mit trockenem Auge ist der Schirmer-Test nach der Anästhesie am hilfreichsten. Patienten mit Tränenfluss bei trockenen Augen haben in der Regel eine verminderte basale Tränenproduktion, und dieser Test eignet sich am besten für die Beurteilung eines Mangels.
Bei einer Lidfehlstellung wurde ein Lidband als hilfreich beschrieben.1 Wenn sich die Lidstellung verbessert hat und die Tränensymptome besser zu sein scheinen, ist eine Lidoperation wahrscheinlich hilfreich.
Bei Tränenabflussproblemen sind Sondierung und Spülung am hilfreichsten.2 Um reproduzierbare und aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, ist es wichtig, die richtige Ausrüstung zu haben. Ich verwende vorzugsweise eine gerade 23-Gauge-Tränenkanüle (siehe Abbildung 1). Wenn Sie etwas Kleineres verwenden, wie z. B. eine Kanüle für das vordere Augensegment, kann der für den Durchgang durch die Kanüle erforderliche Druck zu hoch sein, oder es kann Wasser um die Kanüle herumfließen, was zu einem falsch-positiven Ergebnis führt. Die Größe ist ebenfalls hilfreich, denn wenn eine erhebliche Dilatation der Pünktchen erforderlich ist, um die Kanüle passieren zu können, ist eine Pünktchenstenose Teil des Problems.3 Eine gerade Kanüle ist ebenfalls hilfreich, da das Vorhandensein einer Stenose im Canaliculus beurteilt werden kann.
Eine 3cc-Spritze sollte verwendet werden, um Wasser durch das Tränensystem zu leiten. Eine größere Spritze (5 cc oder mehr) würde einen erheblichen Kraftaufwand erfordern, um Wasser durch die Kanüle zu leiten. Eine kleinere Spritze führt zum gegenteiligen Problem: Mit einer TB-Spritze lässt sich das Wasser zu leicht einführen, so dass Obstruktionen schwer zu erkennen sind. Auch die Technik ist wichtig. Die Augenoberfläche sollte betäubt werden, und ein Wattestäbchen mit Anästhetikum sollte für einige Minuten zwischen die Pünktchen gehalten werden, um das Unbehagen zu lindern. Dann sollte der Patient angewiesen werden, bei der Prüfung des Unterlids nach oben zu blicken. Das Augenlid wird seitlich gedehnt und der Dilatator (falls erforderlich) senkrecht in die Puncta eingeführt und dann so gedreht, dass er dem Verlauf des Augenlids horizontal folgt (siehe Abbildung 2). Bei der Dilatation wird mit dem Dilatator sanfter Druck ausgeübt und eine langsame Drehbewegung kann hilfreich sein. Die Kanüle sollte auf ähnliche Weise eingeführt werden (siehe Abbildung 3 & 4). Bei Verwendung einer geraden Kanüle kann diese nach medial geführt werden, bis ein harter Anschlag leicht zu spüren ist. Dies bestätigt, dass der Canaliculus durchgängig ist, da die Kanüle bis zur medialen Wand der Augenhöhle geführt werden konnte. Wird ein weicher Anschlag angetroffen, bei dem die Kanüle nicht vollständig in den Canaliculus eindringen kann, so ist eine Obstruktion des Canaliculus wahrscheinlich.

Die Kanüle wird leicht zurückgezogen und das System wird gespült. Ein offenes nasolakrimales System sollte leicht zu spülen sein, und der Patient wird Flüssigkeit in der Nase spüren und Wasser im Rachen schmecken. Die Verwendung von Kochsalzlösung in der Spüllösung kann für den Patienten hilfreich sein, um dieses Feedback zu geben. Wenn ein gewisser Widerstand gegen die Spülung besteht, aber Flüssigkeit den Gang hinunterfließt, liegt eine partielle Obstruktion des Tränennasengangs vor. Ein signifikanter Widerstand gegen die Spülung und ein Rückfluss um die Kanüle und durch die anderen Canaliculi und Pünktchen bestätigen eine vollständige Obstruktion des Tränenkanals. Andere Tränentests, wie z. B. der Jones-Test, können von Nutzen sein, werden aber nur selten angewandt.
Abschließend sollte die Nasenpassage visualisiert werden. Dies kann mit einem Nasenspekulum und einer Muskellampe oder einer indirekten Scheinwerferlichtquelle erfolgen.
Das Vorhandensein einer Masse, eines größeren Nasenscheidewanddefekts oder einer Nasenschleimhautentzündung sollte die Möglichkeit einer Nasenpathologie aufwerfen und eine Überweisung an einen HNO-Arzt veranlassen.
Wenn die Ursache des Tränenflusses festgestellt ist, sollte die Behandlung auf die Verbesserung oder Umkehrung des Problems ausgerichtet sein. Probleme im vorderen Augenabschnitt wie trockene Augen oder Blepharitis sollten medizinisch behandelt werden. Lidfehlstellungen, sofern sie signifikant sind, sollten durch eine chirurgische Repositionierung und Straffung des Augenlids behoben werden. Nasolakrimale Obstruktionen sollten auf der Grundlage des spezifischen anatomischen Defekts behandelt werden. Eine Punctusstenose kann durch eine Punctoplastik behoben werden. Eine Verengung oder Obstruktion des Tränenkanals erfordert häufig eine Trepanation des Tränenkanals, eine direkte Entfernung der Narbe und eine Rekonstruktion mit einem Silikonstent oder die Einlage eines Jones-Tubus (Konjunktivo-Dacryocystorhinostomie). Bei partiellen Obstruktionen des Tränennasengangs kann eine Ballondilatation des Tränennasengangs mit Silikonintubation wirksam sein. Bei vollständigen Obstruktionen ist eine Dacryocystorhinostomie über einen externen oder endnasalen Zugang angebracht. Bei Patienten, die für einen chirurgischen Eingriff nicht in Frage kommen oder auf andere Eingriffe nicht ansprechen, sind Botulinumtoxin-A-Injektionen in die Tränendrüse sinnvoll. Schließlich gibt es bei vielen Patienten mehrere Faktoren, die zum Tränenfluss beitragen. In diesen Fällen ist ein schrittweises Vorgehen wichtig, bei dem zunächst einfache Dinge angegangen werden und bei Bedarf gezielte chirurgische Eingriffe vorgenommen werden.
Epiphora ist ein häufiges Augenleiden, das durch Pathologien des vorderen Augenabschnitts, der Augenlider und des Tränenabflusses verursacht werden kann. Obwohl man bei der Beurteilung dieser Patienten leicht überfordert sein kann, lässt sich mit einer gründlichen Anamnese und Untersuchung das Problem oft ergründen, was zu einer geeigneten therapeutischen Intervention führt.
Dr. Bernardino führt im Vantage Eye Center okuloplastische und ästhetische Operationen durch und hat ein besonderes Interesse an Augenlid- und Orbitatumoren, Tränenflussstörungen, Schilddrüsenerkrankungen und der Rehabilitation nach dem Verlust eines Auges. Kontaktieren Sie ihn unter [email protected].
1. Cannon PS, Sadiq SA. Lässt sich der Nutzen eines seitlichen Tarsalstreifeneingriffs bei Patienten mit laxen Augenlidern und funktioneller Epiphora vorhersagen? Ophthal Plast Reconstr Surg 2009:25;194-6.
2. Guzek JP, Ching AS, Joang TA, Dure-Smith P, et al. Clinical and Radiologic Lacrimal Testing in Patients with Epiphora. Ophthalmologie 1997:104;1875-81.
3. Kashkouli MB, Beigi B, Murthy R, Astbury N. Acquired external punctal stenosis: Ätiologie und Begleitbefunde. Am J Ophthalmol 2003:136:1079-84.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.