11.08.2020
Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Ravensbrück bietet einen verstörenden Blick auf das Leben unter den Nazis in dem reinen Frauenlager.
Schlechtes Gewissen? Reue? Maria Mandl hat beides nicht im Entferntesten erlebt. „Es gab nichts Schlimmes im Lager“, sagt die Oberaufseherin des reinen Frauenkonzentrationslagers in Ravensbrück, Deutschland. Die 36-Jährige wurde 1948 gehängt, nachdem ein Krakauer Gericht sie als Kriegsverbrecherin zum Tode verurteilt hatte.
Ihre grausame Karriere ist Teil der neuen Ausstellung über KZ-Aufseherinnen in der Gedenkstätte. In Ravensbrück, 80 Kilometer nördlich von Berlin, waren zwischen 1939 und 1945 über 140.000 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, aus über 30 Ländern inhaftiert. Das Lager war auch die wichtigste Ausbildungs- und Rekrutierungsstätte für weibliche Wachleute. Etwa 3.300 von ihnen arbeiteten in Ravensbrück.
Die Österreicherin Maria Mandl war genau das, was die selbsternannten Verfechter der „Herrenrasse“ von ihren weiblichen Wächtern erwarteten: treu und gnadenlos.
Jemand wie Mandl konnte es in der perversen Hierarchie der Nazis weit bringen. 1942, nach drei Jahren in Ravensbrück, wurde sie in das Vernichtungslager Auschwitz versetzt. Dort gründete sie das Frauenorchester von Auschwitz, das gezwungen war, bei Häftlingstransporten und Hinrichtungen zu musizieren.
Im Jahr 1940, nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, wurden die Aufseherinnen in Hitlers Elite-Todesschwadron SS (Schutzstaffel) eingegliedert. Die neu gestaltete und aktualisierte Ausstellung „Im Dienst der SS“, die erstmals 2004 konzipiert wurde, spart nicht mit Details. Auch der Standort der Ausstellung wurde mit Bedacht gewählt: Die alte Kaserne für weibliche Lageraufseherinnen, direkt neben dem ehemaligen Lager. Nur eine Mauer und Stacheldraht trennten die Täterinnen von ihren Opfern.
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‚Du bist eine Dame, aber ich kann dich schlagen‘
Audioaufnahmen von den Quälereien und willkürlichen Misshandlungen der Häftlinge sind ebenfalls in der Ausstellung zu hören. Einige der Interviews mit Zeitzeugen sind mehr als 20 Jahre alt. Ursula Winska aus Polen zum Beispiel erzählt in einem Video, wie Maria Mandl eine ältere Frau auf einem Weg im Lager besonders brutal geschlagen hat. Als eine Mitgefangene ihr zu Hilfe kam, landete sie ihrerseits im Bunker. Monatelang wurde sie danach täglich ins Gesicht geschlagen, mit dem spöttischen Kommentar: „Du bist eine Dame, aber ich kann dich schlagen“
Es gab einige weibliche Aufseherinnen, die gelegentlich etwas Menschlichkeit zeigten. Eine andere polnische Gefangene, Henryka Stanecka, berichtet, dass ihre Gruppe von Gefangenen nach einem schlammigen Arbeitstag auf einem Zuckerrübenfeld im See baden durfte. „Ein Wärter gab uns sogar ein Handtuch“, sagte Stanecka.
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‚Attraktiv wie hirnlose Fließbandarbeit‘
Je länger der Krieg dauerte, desto schwieriger wurde es für die Nazis, freiwillige Wachleute zu finden. Neues Personal wurde über Zeitungsannoncen rekrutiert. Das Wort „Konzentrationslager“ kam in diesen Stellenbeschreibungen nicht vor. In einer Anzeige im Hannoverschen Kurier aus dem Jahr 1944 hieß es zum Beispiel: „Gesunde weibliche Arbeitskräfte im Alter von 20-40 Jahren für eine Stelle im Militärdienst gesucht“. Die Entlohnung richtete sich nach den Tarifen für den öffentlichen Dienst. Außerdem versprach die Stelle: „Freie Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung (Uniform).“
Diese Aussichten reichten vielen Frauen, um sich freiwillig zu melden. Eine Frau, die nur als Waltraut G. identifiziert wurde, war unter ihnen. In einem Interview aus dem Jahr 2003 erklärte sie, dass sie die Stelle aus finanziellen Gründen annahm. Sie war die älteste von fünf Geschwistern. „Ich habe also wirklich nicht lange darüber nachgedacht, ich dachte nur: Wenn ich dort mehr verdienen kann, dann nehme ich den Job an.“ Auch Anna G. hatte keine Skrupel, den Job anzunehmen. Sie fand die Arbeit im Lager ganz einfach „attraktiv als stumpfsinnige Fließbandarbeit“, wie in einer Fabrik.
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Nur einige kamen vor Gericht
Anscheinend hat nur eine sehr kleine Anzahl der Wachleute gekündigt oder irgendeine Art von Widerstand geleistet. Aber die Ausstellungskuratorin Simone Erpel sagt: „Wir haben keinen Hinweis darauf gefunden, dass jemand, der gekündigt oder sich geweigert hat, in irgendeiner Weise verfolgt wurde.“
„Das ist wichtig, denn nach dem Krieg sagten die Wächter zu ihrer Verteidigung, dass sie in ein Konzentrationslager geworfen worden wären, wenn sie es gewagt hätten, Befehle zu verweigern, aber wir finden keinen Hinweis darauf, also muss es für sie möglich gewesen sein, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen“, sagt Erpel.
Die Mehrheit der weiblichen Lageraufseherinnen hatte nach dem Krieg wenig zu befürchten. Nur 77 von ihnen mussten sich vor Gericht verantworten, so Erpel, die auch Historikerin ist. Todesurteile, wie im Fall von Maria Mandl, oder lange Haftstrafen waren selten. Spätere Ermittlungen blieben für die noch lebenden, betagten Lageraufseherinnen meist ohne Folgen. Zuletzt wurden die Verfahren in acht Fällen im Februar 2020 vom Land Brandenburg, in dem Ravensbrück liegt, offiziell eingestellt: in sieben Fällen, weil die Angeklagten nicht vernehmungsfähig waren und in einem Fall, weil keine ausreichenden Beweise vorlagen.
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Eine echte Nazi-Uniform?
„Nicht schuldig“ – so plädierten die wenigen Wärterinnen, deren Fälle es vor Gericht schafften. Für die Täterinnen war das alles, was gesagt werden musste. Keiner sagte etwas, das seinen Opfern hätte helfen können. Dieses Kapitel der deutschen Rechtsprechung ist heute – 75 Jahre nach der Befreiung des Lagers Ravensbrück – „Geschichte“, so ein Staatsanwalt in einem Interview, das in der Ausstellung zu hören ist.
Es gibt auch einen Raum, der sich mit „Fakten und Fiktion“ beschäftigt. Hier geht es um die Figur der weiblichen Lageraufseherin in Literatur und Film sowie um den Handel mit NS-Memorabilien. Neben dem Roman Der Vorleser von Bernhard Schlink, der in 50 Sprachen übersetzt und mit Kate Winslet verfilmt wurde, ist eine feldgraue SS-Uniform zu sehen. „Es könnte sich um eine Fälschung handeln“, heißt es im Begleittext, der die unsichere Herkunft des Kleidungsstücks erklärt – aber es gibt eine weibliche Wachmütze, die definitiv echt ist. Sie wurde dem Museum Ravensbrück von einem ehemaligen französischen Häftling geschenkt.