Mathematik ist vielleicht mehr eine Umweltwissenschaft, als uns bewusst ist. Obwohl sie eine Suche nach ewigen Wahrheiten ist, haben viele mathematische Konzepte ihren Ursprung in der Alltagserfahrung. Astrologie und Architektur inspirierten die Ägypter und Babylonier zur Entwicklung der Geometrie. Das Studium der Mechanik während der wissenschaftlichen Revolution des 17. Jahrhunderts brachte uns die Infinitesimalrechnung.
Besonders bemerkenswert ist, dass auch die Ideen der Quantentheorie eine enorme mathematische Kraft besitzen, obwohl wir im täglichen Umgang mit Elementarteilchen wenig Erfahrung haben. Die bizarre Welt der Quantentheorie – in der die Dinge scheinbar an zwei Orten gleichzeitig sein können und den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit unterliegen – stellt nicht nur eine grundlegendere Beschreibung der Natur dar als alles, was ihr vorausging, sondern bietet auch einen reichen Kontext für die moderne Mathematik. Könnte die logische Struktur der Quantentheorie, wenn sie erst einmal vollständig verstanden und verinnerlicht ist, einen neuen Bereich der Mathematik inspirieren, den man „Quantenmathematik“ nennen könnte?
Es gibt natürlich eine langjährige und enge Beziehung zwischen Mathematik und Physik. Galilei schrieb bekanntlich über ein Buch der Natur, das darauf wartet, entschlüsselt zu werden: „Die Philosophie ist in diesem großen Buch, dem Universum, geschrieben, das unserem Blick ständig offensteht. Aber man kann das Buch nicht verstehen, wenn man nicht zuerst lernt, die Sprache zu verstehen und die Buchstaben zu lesen, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben.“ Aus modernerer Zeit können wir Richard Feynman zitieren, der nicht als Kenner der abstrakten Mathematik bekannt war: „Für diejenigen, die keine Ahnung von Mathematik haben, ist es schwierig, ein echtes Gefühl für die Schönheit, die tiefste Schönheit der Natur zu vermitteln. … Wenn man die Natur kennen und schätzen lernen will, ist es notwendig, die Sprache zu verstehen, in der sie spricht.“ (Auf der anderen Seite sagte er auch: „Wenn die gesamte Mathematik heute verschwinden würde, wäre die Physik genau eine Woche zurückgeworfen“, worauf ein Mathematiker die kluge Antwort gab: „Das war die Woche, in der Gott die Welt erschaffen hat.“)
Der mathematische Physiker und Nobelpreisträger Eugene Wigner hat wortgewandt über die erstaunliche Fähigkeit der Mathematik geschrieben, die Realität zu beschreiben, und sie als „die unvernünftige Wirksamkeit der Mathematik in den Naturwissenschaften“ bezeichnet. Dieselben mathematischen Konzepte tauchen in einer Vielzahl von Kontexten auf. Heutzutage scheinen wir jedoch das Gegenteil zu erleben: die unvernünftige Wirksamkeit der Quantentheorie in der modernen Mathematik. Ideen, die ihren Ursprung in der Teilchenphysik haben, haben eine unheimliche Tendenz, in den verschiedensten mathematischen Bereichen aufzutauchen. Dies gilt insbesondere für die Stringtheorie. Ihr anregender Einfluss auf die Mathematik wird eine dauerhafte und lohnende Wirkung haben, unabhängig davon, welche Rolle sie letztendlich in der Grundlagenphysik spielen wird. Die Zahl der Disziplinen, die sie berührt, ist schwindelerregend: Analysis, Geometrie, Algebra, Topologie, Darstellungstheorie, Kombinatorik, Wahrscheinlichkeitsrechnung – die Liste ist unendlich lang. Die armen Studenten, die das alles lernen müssen, fangen an, einem leid zu tun!
Was könnte der Grund für diese unangemessene Wirksamkeit der Quantentheorie sein? Meiner Meinung nach hängt sie eng mit der Tatsache zusammen, dass in der Quantenwelt alles, was passieren kann, auch passiert.
Die klassische Mechanik versucht auf sehr schematische Weise zu berechnen, wie sich ein Teilchen von A nach B bewegt. In der Quantenmechanik betrachtet man stattdessen die Gesamtheit aller möglichen Wege von A nach B, wie lang und verschlungen sie auch sein mögen. Dies ist Feynmans berühmte Interpretation der „Summe über Geschichten“. Die physikalischen Gesetze weisen dann jedem Pfad ein bestimmtes Gewicht zu, das die Wahrscheinlichkeit bestimmt, dass sich ein Teilchen entlang dieser bestimmten Bahn bewegt. Die klassische Lösung, die den Newtonschen Gesetzen gehorcht, ist einfach die wahrscheinlichste unter vielen. Die Quantenphysik untersucht also auf natürliche Weise die Gesamtheit aller Bahnen als ein gewichtetes Ensemble, das es uns erlaubt, über alle Möglichkeiten zu summieren.
Dieser ganzheitliche Ansatz, alles auf einmal zu betrachten, ist ganz im Sinne der modernen Mathematik, bei der sich die Untersuchung von „Kategorien“ von Objekten viel mehr auf die gegenseitigen Beziehungen als auf ein spezifisches Einzelbeispiel konzentriert. Es ist diese Vogelperspektive der Quantentheorie, die überraschende neue Zusammenhänge zutage fördert.
Quantenrechner
Ein eindrucksvolles Beispiel für die Magie der Quantentheorie ist die Spiegelsymmetrie – eine wirklich erstaunliche Äquivalenz von Räumen, die die Geometrie revolutioniert hat. Die Geschichte beginnt in der enumerativen Geometrie, einem gut etablierten, aber nicht sehr spannenden Zweig der algebraischen Geometrie, der Objekte zählt. Zum Beispiel könnten Forscher die Anzahl der Kurven in Calabi-Yau-Räumen zählen wollen – sechsdimensionale Lösungen der Einsteinschen Gravitationsgleichungen, die von besonderem Interesse in der Stringtheorie sind, wo sie verwendet werden, um zusätzliche Raumdimensionen aufzurollen.
Genauso wie man ein Gummiband mehrfach um einen Zylinder wickeln kann, werden die Kurven in einem Calabi-Yau-Raum durch eine ganze Zahl, den so genannten Grad, klassifiziert, der angibt, wie oft sie sich wickeln. Die Anzahl der Kurven eines bestimmten Grades zu bestimmen, ist ein bekanntlich schwieriges Problem, selbst für den einfachsten Calabi-Yau-Raum, den so genannten Quintenraum. Ein klassisches Ergebnis aus dem 19. Jahrhundert besagt, dass die Anzahl der Linien – Kurven ersten Grades – gleich 2.875 ist. Die Anzahl der Kurven zweiten Grades wurde erst um 1980 berechnet und stellt sich als viel größer heraus: 609.250. Für die Anzahl der Kurven dritten Grades brauchte man jedoch die Hilfe von Stringtheoretikern.
Um 1990 bat eine Gruppe von Stringtheoretikern Geometer, diese Anzahl zu berechnen. Die Geometer entwarfen ein kompliziertes Computerprogramm und kamen mit einer Antwort zurück. Die Stringtheoretiker vermuteten jedoch, dass sie falsch war, was auf einen Fehler im Code hindeutete. Bei der Überprüfung bestätigten die Geometer, dass ein Fehler vorlag, aber woher wussten die Physiker das?
Die Stringtheoretiker hatten bereits daran gearbeitet, dieses geometrische Problem in ein physikalisches zu übertragen. Dabei hatten sie eine Methode entwickelt, um die Anzahl der Kurven beliebigen Grades auf einmal zu berechnen. Der Schock über dieses Ergebnis in mathematischen Kreisen ist kaum zu überschätzen. Es war ein bisschen so, als hätte man einen Weg gefunden, jeden noch so hohen Berg zu besteigen!
In der Quantentheorie macht es durchaus Sinn, die Anzahl der Kurven aller Grade in einer einzigen eleganten Funktion zusammenzufassen. Auf diese Weise zusammengesetzt, hat sie eine einfache physikalische Interpretation. Sie kann als Wahrscheinlichkeitsamplitude für einen String betrachtet werden, der sich im Calabi-Yau-Raum ausbreitet, in dem das Prinzip der Summe über die Geschichte angewandt wurde. Man kann sich vorstellen, dass ein String alle möglichen Kurven jeden möglichen Grades gleichzeitig abtastet und somit ein supereffizienter „Quantenrechner“ ist.
Um die eigentliche Lösung zu finden, war jedoch eine zweite Zutat erforderlich: eine äquivalente Formulierung der Physik unter Verwendung eines so genannten „Spiegel“-Calabi-Yau-Raums. Der Begriff „Spiegel“ ist trügerisch einfach. Im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Spiegel, der ein Bild reflektiert, sind der ursprüngliche Raum und sein Spiegelbild von sehr unterschiedlicher Form; sie haben nicht einmal dieselbe Topologie. Im Bereich der Quantentheorie haben sie jedoch viele Eigenschaften gemeinsam. Insbesondere erweist sich die Ausbreitung der Strings in beiden Räumen als identisch. Die schwierige Berechnung auf der ursprünglichen Mannigfaltigkeit übersetzt sich in einen viel einfacheren Ausdruck auf der Spiegelmannigfaltigkeit, wo sie durch ein einziges Integral berechnet werden kann. Et voilà!
Dualität der Gleichheit
Die Spiegelsymmetrie veranschaulicht eine mächtige Eigenschaft der Quantentheorie, die Dualität: Zwei klassische Modelle können äquivalent werden, wenn sie als Quantensysteme betrachtet werden, als ob ein Zauberstab geschwungen wird und alle Unterschiede plötzlich verschwinden. Dualitäten weisen auf tiefgreifende, aber oft geheimnisvolle Symmetrien der zugrunde liegenden Quantentheorie hin. Im Allgemeinen werden sie kaum verstanden und sind ein Hinweis darauf, dass unser Verständnis der Quantentheorie bestenfalls unvollständig ist.
Das erste und berühmteste Beispiel für eine solche Äquivalenz ist der bekannte Teilchen-Wellen-Dualismus, der besagt, dass jedes Quantenteilchen, beispielsweise ein Elektron, sowohl als Teilchen als auch als Welle betrachtet werden kann. Beide Sichtweisen haben ihre Vorteile und bieten unterschiedliche Perspektiven auf ein und dasselbe physikalische Phänomen. Die „richtige“ Sichtweise – Teilchen oder Welle – wird allein durch die Art der Fragestellung bestimmt, nicht durch die Art des Elektrons. Die beiden Seiten der Spiegelsymmetrie bieten zwei gleichwertige Perspektiven auf die „Quantengeometrie“
Die Mathematik hat die wunderbare Fähigkeit, verschiedene Welten zu verbinden. Das am meisten übersehene Symbol in jeder Gleichung ist das bescheidene Gleichheitszeichen. Durch es fließen Ideen, als ob das Gleichheitszeichen den elektrischen Strom leitet, der die „Aha!“-Glühbirne in unserem Kopf zum Leuchten bringt. Und die Doppellinien zeigen an, dass Ideen in beide Richtungen fließen können. Albert Einstein war ein absoluter Meister im Finden von Gleichungen, die diese Eigenschaft veranschaulichen. Nehmen wir E = mc2, zweifellos die berühmteste Gleichung der Geschichte. In ihrer schlichten Eleganz verbindet sie die physikalischen Konzepte von Masse und Energie, die vor dem Aufkommen der Relativitätstheorie als völlig unterschiedlich angesehen wurden. Durch Einsteins Gleichung erfahren wir, dass Masse in Energie umgewandelt werden kann und umgekehrt. Die Gleichung der allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein ist zwar weniger eingängig und bekannt, verbindet aber die Welten der Geometrie und der Materie auf ebenso überraschende und schöne Weise. Kurz und bündig lässt sich diese Theorie so zusammenfassen, dass die Masse dem Raum sagt, wie er sich krümmen soll, und der Raum der Masse, wie sie sich bewegen soll.
Die Spiegelsymmetrie ist ein weiteres perfektes Beispiel für die Macht des Gleichheitszeichens. Sie ist in der Lage, zwei verschiedene mathematische Welten zu verbinden. Die eine ist der Bereich der symplektischen Geometrie, der Zweig der Mathematik, der einem Großteil der Mechanik zugrunde liegt. Auf der anderen Seite steht der Bereich der algebraischen Geometrie, die Welt der komplexen Zahlen. Die Quantenphysik ermöglicht es, dass Ideen ungehindert von einem Bereich in den anderen fließen können, und bietet eine unerwartete „große Vereinigung“ dieser beiden mathematischen Disziplinen.
Es ist beruhigend zu sehen, wie die Mathematik in der Lage war, so viel von den intuitiven, oft ungenauen Überlegungen der Quantenphysik und der Stringtheorie aufzunehmen und viele dieser Ideen in strenge Aussagen und Beweise zu verwandeln. Die Mathematiker sind kurz davor, diese Genauigkeit auf die homologische Spiegelsymmetrie anzuwenden, ein Programm, das die ursprüngliche Idee der Stringtheorie, die Spiegelsymmetrie, erheblich erweitert. In gewissem Sinne schreiben sie ein vollständiges Wörterbuch der Objekte, die in den beiden getrennten mathematischen Welten vorkommen, einschließlich aller Beziehungen, die sie erfüllen. Bemerkenswerterweise folgen diese Beweise oft nicht dem Weg, den physikalische Argumente nahegelegt hatten. Es ist offensichtlich nicht die Aufgabe von Mathematikern, hinter den Physikern aufzuräumen! Im Gegenteil, in vielen Fällen mussten völlig neue Denkansätze entwickelt werden, um die Beweise zu finden. Dies ist ein weiterer Beweis für die tiefe und noch unentdeckte Logik, die der Quantentheorie und letztlich der Realität zugrunde liegt.
Niels Bohr war sehr angetan von dem Begriff der Komplementarität. Der Begriff entstand aus der Tatsache, dass man, wie Werner Heisenberg mit seiner Unschärferelation bewies, in der Quantenmechanik entweder den Impuls p eines Teilchens oder seine Position q messen kann, aber nicht beides gleichzeitig. Wolfgang Pauli fasste diese Dualität in einem Brief an Heisenberg vom 19. Oktober 1926, nur wenige Wochen nach der Entdeckung, witzig zusammen: „Man kann die Welt mit dem p-Auge sehen, und man kann sie mit dem q-Auge sehen, aber wenn man beide Augen öffnet, wird man verrückt.“
In seinen späteren Jahren versuchte Bohr, diese Idee in eine viel breitere Philosophie zu übertragen. Eines seiner bevorzugten Komplementärpaare war Wahrheit und Klarheit. Vielleicht sollte man das Paar aus mathematischer Strenge und physikalischer Intuition als weiteres Beispiel für zwei sich gegenseitig ausschließende Qualitäten hinzufügen. Man kann die Welt mit einem mathematischen Auge oder mit einem komplementären physikalischen Auge betrachten, aber man sollte es nicht wagen, beide zu öffnen.
Dieser Artikel wurde auf Spanisch bei Investigacionyciencia.es nachgedruckt.