Was ist ein akademischer Bereich? Using co-citation networks to map scientific literature over time

  • Raffaele Vacca, PhD

Co-citations in Social Networks and Network Science by Raffaele Vacca on Vimeo.

Wie sieht ein akademisches Feld aus? Auf diese Frage gibt es viele mögliche Antworten, so viele, wie es Möglichkeiten gibt, ein „akademisches Feld“ zu betrachten. Eine Möglichkeit, akademische Bereiche zu beschreiben, die sich zunehmender Beliebtheit erfreut (siehe z. B. hier und hier), ist die Betrachtung der mitzitierten wissenschaftlichen Literatur. Wir haben dies für den Bereich der Sozialen Netzwerkanalyse (SNA) und der Netzwerkwissenschaft getan und die auf dieser Seite gezeigten Abbildungen und das Video erstellt. Das Video zeigt die Entwicklung von SNA und Netzwerkwissenschaft als akademische Bereiche von Mitte der 1990er Jahre bis 2013.

Mitzitierte Literatur ist die Gesamtheit der akademischen Artikel und Bücher, die gemeinsam zitiert werden, d. h., über die dieselben Wissenschaftler gemeinsam sprechen. Natur- und Sozialwissenschaftler schreiben Artikel und Bücher, um ihre Erkenntnisse mitzuteilen, wissenschaftliche Behauptungen aufzustellen und letztlich ihr Fachgebiet voranzubringen. Das Ergebnis ist eine Art ständige Konversation zwischen Wissenschaftlern, eine Konversation, deren Teilnehmer sowohl über ihre Arbeit als auch über die Arbeit anderer Autoren sprechen, indem sie diese zitieren. Zitate sind die Mechanismen, durch die die Wissenschaft kumulativ voranschreitet, wobei neue Wissenschaft über die Ergebnisse bestehender Wissenschaft spricht und sich daraus entwickelt. Wenn zwei Wissenschaftler gemeinsam zitiert werden, bedeutet dies, dass die Autoren gemeinsam über sie sprechen. Diese beiden Wissenschaftler werden gemeinsam gelesen und studiert, in denselben Klassen, Labors, Gruppen und Forschungsteams. Kozitierte Wissenschaftler produzieren ein zusammenhängendes, verwandtes wissenschaftliches Werk, das andere Wissenschaftler in der Regel miteinander verbinden und kombinieren.

All dies lässt sich als ein Kozitationsnetzwerk darstellen, in dem Autoren Knoten sind und miteinander verbunden sind, wenn sie gemeinsam zitiert werden. Gemeinschaften von Autoren, die sich in diesem Netz nahe stehen, stellen zusammenhängende Bereiche der wissenschaftlichen Literatur dar, während Autoren, die im Netz weit voneinander entfernt sind, Literatur repräsentieren, die von unterschiedlichen Personen, Schulen und Forschungstraditionen studiert wird. Das Ergebnis ist ein Bild, eine Art semantische Karte, der Dinge, über die die Wissenschaft in einem bestimmten Bereich spricht, und der Art und Weise, wie sie miteinander verbunden sind. Dabei kann es sich um ein Fachgebiet wie die Kulturanthropologie, ein fachübergreifendes Gebiet wie die Netzwerkwissenschaft oder ein inhaltliches Thema wie die psychologischen Auswirkungen der Kinderadoption handeln. Wenn das Kozitationsnetzwerk ein bestimmtes Thema repräsentiert, handelt es sich bei den verschiedenen Netzwerkgemeinschaften oft um unterschiedliche Disziplinen, die alle an dem Thema interessiert sind, aber nur selten miteinander sprechen.

Wir haben ein Kozitationsnetzwerk für soziale Netzwerkanalyse und Netzwerkwissenschaft erstellt. Anstatt nur ein statisches Bild davon zu erstellen, haben wir ein Video erstellt, das die Entwicklung des Netzwerks von Mitte der 1990er Jahre bis 2013 zeigt. Diese Arbeit wurde auf der European Conference on Social Networks 2014 mit dem Outstanding Visualization Award ausgezeichnet und ist unter Verwendung der Programmiersprache R auf Github verfügbar und reproduzierbar.

Um das Feld der Sozialen Netzwerkanalyse und Netzwerkwissenschaft zu erfassen, haben wir alle Veröffentlichungen im Thomson Reuters Web of Science ermittelt, die „soziale Netzwerke“ oder „Netzwerkwissenschaft“ in ihrem Titel, ihren Schlüsselwörtern oder ihrer Zusammenfassung erwähnen. Dabei handelt es sich um ein traditionell multidisziplinäres Gebiet, das verschiedene Disziplinen wie Soziologie, Anthropologie, Psychologie, Informatik und Physik umfasst. Wir nutzten die Kategorien des Web of Science, um die Veröffentlichungen in zwei große Disziplinen zu unterteilen – die Sozialwissenschaften und die Physik und Computerwissenschaften. Anschließend haben wir ein Netzwerk von Autoren erstellt, die in diesem Bereich zitiert werden. Jeder Knoten ist ein Autor, und zwei Knoten sind miteinander verbunden, wenn sie von anderen Autoren in diesem Bereich wiederholt gemeinsam zitiert werden.

In der Visualisierung steht die Farbe des Knotens für die Disziplin, in der ein Autor zitiert wird: (1) Blaue Autoren werden von Publikationen in den Sozialwissenschaften zitiert; (2) Graue Autoren werden von Arbeiten in der Physik oder Informatik zitiert; (3) Rote Autoren werden von Arbeiten in beiden Disziplinen zitiert. Nur die am häufigsten zitierten Autoren werden in das Netzwerk aufgenommen, und ein Gleichstand wird nur dann hergestellt, wenn die beiden miteinander verknüpften Autoren in hohem Maße gemeinsam zitiert werden, d. h. die Anzahl der gemeinsamen Zitierungen liegt im 90. Dieser Schwellenwert wurde festgelegt, weil zwei Autoren aus vielen verschiedenen Gründen mehrfach zitiert werden können, z. B. bei allgemeinen Übersichten über das Fachgebiet. Dadurch entsteht eine Art zufälliges Rauschen im Netz der Kozitate, so dass zwei Autoren als kozitiert erscheinen können, obwohl sie in der Literatur nicht sinnvoll miteinander verbunden sind. Indem wir andererseits nur Verbindungen zwischen Autoren mit einer hohen Anzahl von Ko-Zitierungen (über dem 90. Perzentil) beibehalten, verknüpfen wir nur Namen, die regelmäßig und systematisch in dem Fachgebiet assoziiert sind, und können so die tiefe Netzwerkstruktur dieser semantischen Karte aufdecken.

Die Abbildungen und das Video zeigen eine Reihe interessanter Muster im Bereich der sozialen Netzwerke von 1996 bis 2013. Das Feld weist eine sogenannte „Kern-Peripherie-Struktur“ auf, mit einer einzigen großen Kernliteratur in der Soziologie und Organisationswissenschaft. Ab den frühen 2000er Jahren bildet sich jedoch ein zweiter, kleinerer Kern heraus, der aus akademischer Literatur aus anderen Disziplinen besteht, nämlich aus der Physik und der Informatik. Dies spiegelt den Übergang von „sozialen Netzwerken“ von einem typischen sozialwissenschaftlichen Thema zu einem Forschungsgebiet wider, das auch für Physiker und Informatiker von Interesse ist. Die Forschung zu sozialen Netzwerken in der Physik und der Informatik nimmt in den 2000er Jahren und bis 2013 stetig zu, wobei eine Untergruppe von mitzitierten Autoren aus der Physik und der Informatik im Gegensatz zur traditionellen sozialwissenschaftlichen Gruppe deutlich sichtbar ist.

Der Begriff „soziale Netzwerke“ bezog sich früher im Wesentlichen auf die Untersuchung menschlicher Interaktionen, typischerweise in kleinen Gruppen, durch Anthropologen, Soziologen und Psychologen. In den frühen 2000er Jahren vollzog sich ein grundlegender Wandel in diesem Bereich. Soziale Online-Netzwerke wie Facebook und Twitter setzten sich durch, die Ära der „Big Data“ begann, und neue wissenschaftliche Bereiche wie Web Science und Computational Social Science entstanden. Netzwerkmodelle wurden auch in den Naturwissenschaften, einschließlich der Biologie und der Medizin, verwendet, und die „Netzwerkwissenschaft“ gewann als eigenständiges Wissenschaftsgebiet an Popularität. Heute bezeichnen soziale Netzwerke und Netzwerkwissenschaft ein breiteres und interdisziplinäres Forschungsgebiet, das Sozialwissenschaftler, Physiker und Informatiker gleichermaßen beschäftigt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.