Diskussion
PubMed und MEDLINE wurden mit den beiden MeSH-Begriffen Windpocken und Varizella-Zoster-Virus-Infektion durchsucht, wobei nach 1995 veröffentlichte Übersichtsartikel bevorzugt wurden. Die Artikelverweise wurden von Hand nach relevanten Veröffentlichungen durchsucht.
Die Inzidenz von Windpocken in Kanada ist mit der Einführung von routinemäßigen Varizellen-Impfprogrammen in der pädiatrischen Bevölkerung in allen Provinzen und Territorien zwischen 2000 und 2007 erheblich zurückgegangen.2 Die jährliche Inzidenz von Windpocken ist von 214,3 Fällen pro 100 000 vor der Impfung auf 3,1 Fälle pro 100 000 zwischen 2011 und 2015 zurückgegangen.2 Kinder profitieren von Schutzraten von 94,4 % und 98,3 % nach einer Einzeldosis bzw. einer zweiten Dosis des Varizellen-Impfstoffs.5 Dieser Rückgang der PV-Inzidenz hat dazu geführt, dass die Verdachts- und Erkennungsraten unter Klinikern gesunken sind.6
Das Varizella-Zoster-Virus ist hochgradig ansteckend und wird durch Tröpfchen in der Luft oder durch direkten Kontakt mit Bläschenflüssigkeit übertragen.4 Die Übertragung von VZV kann entweder durch PV oder HZ erfolgen. Die betroffene Person ist bereits 2 Tage vor Ausbruch des Ausschlags infektiös und bleibt infektiös, bis alle Bläschen verkrustet sind (in der Regel 5 Tage nach Ausbruch des Ausschlags).4 Die Inkubationszeit von VZV beträgt 10 bis 21 Tage.7
Eine Hausarztpraxis ist oft der erste Ort, den Patienten aufsuchen, wenn sie krank sind, daher ist es wichtig, dass Hausärzte PV frühzeitig erkennen, um eine Übertragung auf andere Patienten zu verhindern. Die nosokomiale Übertragung von VZV erfolgt in erster Linie über die Luft.8 Eine frühzeitige Erkennung ist nicht nur entscheidend, um eine Übertragung zu verhindern, sondern auch, um potenziell lebensbedrohliche Auswirkungen auf andere zu vermeiden, z. B. auf schwangere Frauen und ihre Föten. Die Sterblichkeitsrate durch PV ist bei schwangeren Frauen höher als bei nicht schwangeren Frauen, und zu den möglichen mütterlichen Komplikationen gehört die respiratorische Pneumonitis.9 Zu den fetalen Komplikationen können Missbildungen aufgrund eines kongenitalen Varizellensyndroms oder Multiorganversagen bei Neugeborenen gehören, insbesondere wenn die PV-Infektion in den Schwangerschaftswochen 13 bis 20 auftritt.5
Primäre Varizellen zeigen sich mit diskreten juckenden Papeln und Bläschen in verschiedenen Entwicklungsstadien, mit der klassischen Beschreibung „Tautropfen auf einem Rosenblatt“.10 Der Ausschlag beginnt typischerweise an Kopf und Hals und breitet sich dann in einem kephalokaudalen Verlauf auf den Rumpf und die Extremitäten aus. Jüngere Ärzte sind mit dem Erscheinungsbild der PV möglicherweise nicht vertraut, da ihre Häufigkeit zurückgegangen ist.6,11 Primäre Varizellen treten in der Regel bei empfänglichen, ungeimpften Personen auf, können aber auch bei zuvor geimpften Personen auftreten, was als „Durchbruchsvarizellen“ bezeichnet wird.12 Bei ansonsten gesunden Kindern ist die PV relativ gutartig und beschränkt sich hauptsächlich auf eine Beteiligung der Haut.4 Eine Infektion durch PV bei gesunden Erwachsenen kann jedoch zu einer schwereren Erkrankung und einer höheren Komplikationsrate führen.4 In Hochrisikopopulationen wie immundefizienten oder schwangeren Personen kann PV disseminieren und mehrere Organsysteme befallen.4 Disseminierte PV ist mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden, wobei zu den Komplikationen Myokarditis, Gangrän, Hepatitis und Glomerulonephritis gehören.13 Bei diesem Patienten traten wahrscheinlich Hepatitis und Glomerulonephritis auf.
Die Differentialdiagnose bei diesem Patienten umfasst disseminiertes HSV oder disseminiertes HZ. Disseminierte HSV zeigen sich typischerweise mit schmerzhaften, gruppierten Bläschen auf einem konfluierenden erythematösen Grund. Die histopathologischen Befunde einer Hautbiopsie von primären Varizellen und disseminiertem HSV können identisch aussehen, daher ist zur Unterscheidung der beiden Viren eine virale Polymerase-Kettenreaktion der Bläschenflüssigkeit erforderlich.14 Herpes zoster zeigt sich typischerweise mit gruppierten Bläschen in einseitiger, dermatomaler Verteilung. Disseminierter HZ kann mehrere Dermatome betreffen und bilateral verlaufen. Eine dermatomale Beteiligung bleibt jedoch sichtbar und erleichtert die Diagnose. Während eine Leberfunktionsstörung bei Erwachsenen mit PV allein auftreten kann, deutet das gleichzeitige Auftreten einer akut-chronischen Nierenerkrankung, eines schwankenden Bewusstseinsniveaus und einer Leberfunktionsstörung bei dem in diesem Fall vorgestellten Patienten auf eine disseminierte PV hin. Eine Lumbalpunktion und eine zerebrale Magnetresonanztomographie waren aufgrund des Herzschrittmachers des Patienten und des darüber liegenden Ausschlags an der Wirbelsäule kontraindiziert.
Für empfängliche Personen, die gesund, nicht schwanger und älter als 12 Monate sind, kann der Varizellen-Impfstoff bis zu 5 Tage nach der Exposition verabreicht werden, um eine PV zu verhindern oder ihren Schweregrad zu verringern.5 Für nicht immune Personen, die für die Varizellenimpfung nicht in Frage kommen, wie z. B. Säuglinge, schwangere Frauen oder immungeschwächte Personen, ist eine alternative Behandlung nach der Exposition das Varizellen-Zoster-Immunglobulin.5 Wenn Varizella-Zoster-Immunglobulin die PV nicht verhindern kann, kann es dennoch den Schweregrad der Krankheit verringern, wenn es innerhalb von 10 Tagen nach der Exposition verabreicht wird.5 Varizella-Zoster-Immunglobulin ist am wirksamsten, wenn es innerhalb von 4 Tagen nach der Exposition verabreicht wird.5
Acyclovir ist die erste Behandlungsoption für PV, um das Fortschreiten der Krankheit zu verhindern, Komplikationen zu vermeiden und die Genesung zu beschleunigen. Aciclovir wird typischerweise in den beschriebenen Hochrisikopopulationen eingesetzt,15 aber es hat sich gezeigt, dass die Anwendung von Aciclovir bei immunkompetenten Kindern zu einer kürzeren Krankheitsdauer, weniger Hautläsionen und einer schnelleren Abheilung der Läsionen führt.16 Aciclovir sollte bei allen Personen in Betracht gezogen werden, unabhängig vom Immunstatus oder der Schwere der Erkrankung.17