09.11.2020
Zwei Jahrzehnte, nachdem der deutsche Bundestag für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften gestimmt hat, blickt ein schwules Paar, das zu den ersten gehörte, die eine solche Partnerschaft eingingen, auf seinen Kampf um Gleichberechtigung zurück – und darauf, wie weit der Weg noch ist.
„Ich war immer schwul, für mich war schwul sein alles, was ich kannte“, sagt Andreas Hochrein-Margeit. „Deshalb kam es mir nie in den Sinn, dass ich heiraten oder eine Familie gründen könnte. Ich hätte einfach nie gedacht, dass es diese Möglichkeit gibt.“
Andreas (57) und sein Mann Axel Hochrein (55) sind seit rund 25 Jahren ein Paar. Der 10. November 2020 ist für sie ein besonderes Datum: An diesem Tag ist es 20 Jahre her, dass der Deutsche Bundestag für die Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare gestimmt hat und damit schwule und lesbische Paare viele der gleichen Rechte wie heterosexuelle Ehepaare erhalten.
Weiter lesen: Wofür steht ‚LGBT+‘?
Andreas und Axel gingen 2002 als eines der ersten Paare eine solche „eingetragene Lebenspartnerschaft“ ein. Vor zwei Jahren haben sie schließlich geheiratet.
Sie sagen, dass sich die Dinge für schwule Paare in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten sehr verändert haben.
‚Das hätte ich mir nie vorstellen können‘
1998 kam eine Koalition aus Mitte-Links-Sozialdemokraten und den Grünen an die Macht. Die sozialliberale Regierung wollte einen Gesetzesentwurf vorlegen, nachdem jahrelang auf die Legalisierung von Lebenspartnerschaften gedrängt worden war. Mehrere Bundesländer, darunter Bayern, und die Partei, aus der später Bundeskanzlerin Angela Merkel hervorging – die Mitte-Rechts-Christdemokraten (CDU) – lehnten das Gesetz ab.
Axel kommt aus Würzburg in Bayern. „Ich war Mitglied in der CSU“, erklärt Axel. „Dann hat Andreas mich gefragt: Warum willst du Mitglied in einer Partei sein, die sich nicht für die Gleichberechtigung einsetzt? Und kurz darauf bin ich ausgetreten.“
Weiter lesen: Homophobie in der deutschen Politik – Wie sich die Dinge geändert haben
Die CDU/CSU-Koalition und das Land Bayern klagten gegen die Entscheidung, Lebenspartnerschaften zuzulassen, und zögerten die Verabschiedung des Gesetzes fast ein Jahr lang hinaus. Axel und Andreas erinnern sich, dass sie das Gerichtsverfahren im Fernsehen verfolgt haben.
Schließlich entschieden die deutschen Gerichte, dass Lebenspartnerschaften nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Deutschland war damit eines der ersten europäischen Länder, das Lebenspartnerschaften zuließ.
Zu diesem Zeitpunkt lebte das Paar bereits in der Nähe von Würzburg zusammen. Der konservative Staat konnte zwar nicht gegen das Bundesurteil vorgehen, aber er machte es gleichgeschlechtlichen Paaren unmöglich, eine Partnerschaft auf einem Standesamt einzugehen.
„Also haben wir hier am selben Küchentisch ‚geheiratet‘, an dem wir jeden Abend zu Abend essen“, lacht Axel. „Nur wir, unsere Mütter und der Standesbeamte. Es war sehr bewegend – aber vielleicht nicht ganz so besonders.“
„Aber wir sind doch am nächsten Tag nach Paris in die Flitterwochen gefahren“, wirft Andreas ein.
Weiter lesen: Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und die katholische Kirche
Partner oder verheiratet?
Axel und Andreas sagen, sie hätten sich von Anfang an als „verheiratet“ bezeichnet.
„In den deutschen Medien wurde der Begriff ‚Homo-Ehe‘ verwendet, obwohl es sich nicht um eine Ehe handelte“, sagt Axel. „Aber das war eigentlich sehr hilfreich für uns; und das hat vielen Menschen in der Gesellschaft geholfen, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es wirklich eine Art von Ehe ist.“
Die Lebenspartnerschaft gewährte viele gleiche Rechte wie die von Ehepaaren, aber in bestimmten Fragen – zum Beispiel bei der Besteuerung – nicht.
Während es weitere 16 Jahre dauern sollte, bis die Ehe in Deutschland gleichberechtigt legalisiert wurde, bezeichneten Axel und Andreas die Lebenspartnerschaft als „wichtige Vorstufe“ zur gleichberechtigten Ehe.
Weiter lesen: 1 von 3 LGBT+ Menschen in Deutschland erleben Diskriminierung am Arbeitsplatz
„Ich weiß nicht, an wie vielen Protesten wir in diesen 16 Jahren teilgenommen und Petitionen unterschrieben haben“, sagt Andreas. „Aber ohne den Präzedenzfall der Lebenspartnerschaft wäre es noch viel schwieriger gewesen.“
Der Deutsche Bundestag hat 2017 schließlich die Gleichstellung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare beschlossen und damit die Befugnis für neue Lebenspartnerschaften aufgehoben. Andreas und Axel haben sich entschieden, bis 2018 zu warten, um an ihrem Jahrestag zu heiraten.
„Wir haben immer gesagt, dass wir sowieso geheiratet haben“, sagt Andreas. „Als dann der Zeitpunkt kam, an dem wir tatsächlich heiraten wollten, haben die Leute gesagt – aber ihr habt doch schon geheiratet? Was wollt ihr denn noch?“
Die „richtige“ Hochzeit war eine sehr freudige Angelegenheit – eine dreitägige Party in ihrem Haus im ländlichen Bayern, zu der über 120 Leute kamen. Das Paar sagt, sie hätten Glück gehabt, dass sie in der ländlichen, konservativen Gegend nie auf Diskriminierung durch ihre Paare gestoßen seien.
„Alle unsere Freunde aus Berlin sagten ‚Ihr armen Dinger, die ihr da auf dem Land lebt'“, sagt Axel. „Und dann sind sie zu unserer Hochzeit für drei Tage nach Würzburg gekommen – und haben gemerkt, dass alle so hilfsbereit sind. Es war ein tolles Fest.“
„Für uns hat es unsere Beziehung nicht verändert, so wie auch die Lebenspartnerschaft unsere Beziehung nicht verändert hat“, ergänzt Andreas. „Aber nach außen hin hat es viel bedeutet. Ich konnte endlich sagen, dass er mein Mann ist.“
Eine neue Normalität
Heute arbeitet Andreas noch als Schneider, während Axel sich aus seinem Job im Management zurückgezogen hat. „Ich koche meistens das Essen: eine richtige eheliche Arbeitsteilung“, lacht er. Außerdem engagiert sich Axel ehrenamtlich im Vorstand des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland, einer der bekanntesten Rechtsgruppen des Landes.
Als Paar sagen sie, dass sie heutzutage häufiger auf ihre Entscheidung, keine Kinder zu haben, angesprochen werden. Seit 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare gemeinsam adoptieren.
„Für uns waren Kinder nie Teil der Frage“, sagt Axel. „Aber wir sehen jetzt so viele junge Schwule und Lesben, die Regenbogenfamilien gründen und das als eines ihrer selbstverständlichen Rechte sehen.“
Das Paar ist sich seines Glücks sehr bewusst.
„Wir sind uns der Situation in Polen sehr bewusst, einem EU-Land, in dem es heute diese LGBTI-freien Zonen gibt“, sagt Axel. „Und Russland, bestimmte afrikanische Länder. Es gibt immer noch Länder, die wir nicht besuchen können, weil wir so sind, wie wir sind. Selbst hier in Deutschland sehen wir so viel Unterstützung für rechtsradikale homophobe Politik. Und für einige Mainstream-Politiker gibt es offenbar immer noch eine Verbindung zwischen Homosexuellen als perversen oder pädophilen Menschen.“
Die letzte Bemerkung bezieht sich auf den CDU-Politiker Friedrich Merz, Kandidat für den Parteivorsitz und möglicher Hoffnungsträger für die Nachfolge von Angela Merkel als Bundeskanzlerin. In einem Interview mit der Bild-Zeitung wurde er kürzlich gefragt, ob er etwas gegen einen schwulen Kanzler hätte.
„Nein“, antwortete Merz gegenüber Bild. „Die Frage der sexuellen Orientierung, solange sie sich im Rahmen des Gesetzes bewegt und keine Kinder betrifft – an diesem Punkt stoße ich an meine absoluten Grenzen – ist kein Thema für die öffentliche Diskussion.“
Weiter lesen: Deutschland enthüllt Entschädigungsplan für schwule Soldaten
Aber Andreas und Axel zitieren auch die Gesichter der deutschen Politik, die die Akzeptanz für LGBT+ Menschen erhöht haben – der ehemalige Außenminister Guido Westerwelle und der aktuelle Gesundheitsminister Jens Spahn haben beide positive öffentliche Reaktionen erfahren.
Aber für Andreas und Axel ist die Wahl vor 20 Jahren nach wie vor ausschlaggebend für die Veränderung ihres Lebens.
„Es gibt dieses Problem im Deutschen – das Wort ‚Freund‘ kann auch einfach Freund bedeuten. Wenn ich also Axel als meinen Freund bezeichne, denken die Leute, er ist einfach mein Kumpel“, erklärt Andreas. „Und dann könnte ich anfangen, das Wort ‚Partner‘ zu benutzen – im rechtlichen Sinne. Das bedeutet viel.“
Die größte Freude für das Paar ist einfach, dass ihr Familienstand überhaupt kein Thema mehr ist.
„Es ist toll, sich einfach als normaler Teil der Gesellschaft zu fühlen“, sagt Axel. „Wir denken nicht mehr darüber nach.“
Elliot Douglas